Zu viel des Smarten
Smart City und nun auch „Smart Country“ (siehe die „Smart Country Convention“ im kommenden November in Berlin) sind zweifelsohne Zukunftsthemen, die sich neben Wohnungsbau, „Flüchtlingskrise“ und anderen Dauerbrennern stadt- und regionalentwicklungspolitischer Diskurse nach und nach ihren verdienten Platz erobern. Der Branchenverband der Digitalwirtschaft Bitkom e.V. hat vor kurzen sogar gemeinsam mit dem Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB) einen „Neun-Punkte-Plan für Digitale Städte und Regionen“ vorgelegt. Zentrale Forderung darin ist ein „bundesweites Kompetenzzentrum Digitale Städte und Regionen“.
Fatal allerdings ist es, wenn nun torschlusspanisch hinter jedwedes Digitalprojekt in Kommunen, Städten und Regionen das vermeintlich heilsversprechende Attribut „smart“ vorangestellt wird. Und auch die Definition von „Digitaler Stadt“ fällt wahrscheinlich so unterschiedlich aus, wie die IT-Dienstleister, Agenturen und Berater – auch meine Wenigkeit – damit Geld verdienen wollen.
In meinem Buch „Local Commerce“ (S. 59 ff.) habe ich bewusst versucht, eine klare Grenze zwischen infrastrukturellen Grundlagen gewerbeorientierter Online-Sichtbarkeitsmodelle und dem Generalthema „Smart City“ zu ziehen. Denn klar ist: Allzu oft werden Pferde von hinten aufgezäumt, wenn Fördergelder nur dann sprudeln, weil Anträge dick bepackt mit Kampfkürzeln wie KI, VR oder AR daherkommen.
Mich interessiert in diesem Zusammenhang im Kern, welche Herausforderung die Digitalisierung für Stadtmarketing- und Citymanagement-Organisationen bedeutet. Darüber im Übrigen habe ich mir als Autor im von der Bundesvereinigung City- und Stadtmarketing Deutschland e. V. (bcsd) herausgebrachten „Praxishandbuch City- und Stadtmarketing“ sehr komprimiert Gedanken gemacht – im Kapitel „Die digitale Stadt“ (S. 257–269).
Local-Commerce-Initiativen, also etwa lokale Online-Marktplätze wie ich sie interpretiere und umzusetzen helfe, schaffen digitale Vertriebs- und Kommunikationsinfrastrukturen samt institutionellem Rahmen und Kompetenzträgern, damit sich lokale Unternehmen in ihnen kooperativ entfalten können – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Ich möchte damit keineswegs die Dringlichkeit der Beschäftigung mit Smart-City-Themen schmälern – von modularen Mobilitätskonzepten über intelligente LED-Straßenbeleuchtungssyteme bis hin zu Lösungen rund um E-Governance und OpenData gibt es noch viel zu tun. Mit Blick auf den lokalen Handel jedoch schießen technisch- und datengetriebene Projekte meist über das Ziel hinaus bzw. werden an den akuten Nöten der adressierten Klientel vorbei entwickelt. Die in der Abbildung dargestellte Komplexitätskurve weist tatsächlich in Richtung Smart City (Quelle: Local Commerce, S. 159). Bis dahin sollten allerdings erst einmal basale einzelbetriebliche und kooperative Maßnahmen umgesetzt werden.
Aktuelles Beispiel ist die „Digitalstadt Darmstadt“. Hier wollte eBay sein lokales Marktplatzmodell „eBay City“ verankern. Bis heute ist davon nichts zu sehen. Auch das KIEZKAUFHAUS hat keinen Fuß in die Tür bekommen. Weil man jedoch trotzdem Vorzeigbares in Sachen Online-Sichtbarkeit braucht, wurde im August verkündet, die Gewerbetreibenden Darmstadts in der 360-Grad-Rundgang-Anwendung „Watch my City“ abzubilden. Derzeit sind dort 200 Betriebe zu finden, davon 37 Einzelhandelsgeschäfte im engeren Sinn in der Rubrik Shopping.
Die 360-Grad-Darstellungen, die man auch zu einem virtuellen Stadtrundgang verknüpfen kann, erzeugen natürlich auf den ersten Blick einen Wow-Effekt. Und sie tun keinem wirklich weh – weder dem Händler, der sich nach der Implementierung zurücklehnen kann, noch den Kümmerern aus dem Citymanagement oder Stadtmarketing, die letztlich nur Fototermine mit Geschäftsinhabern koordinieren müssen. Integrierte Konzepte für mehr Online-Sichtbarkeit des lokalen Handels jedenfalls sehen anders aus.
Denn wie viele Menschen – Kunden und Touristen – werden die Anwendung tatsächlich nutzen? Und wozu? (Die Lüfter meines Rechners laufen wegen der Auslastung des Browsers während der Anwendung bereits auf Hochtouren. Wie mein Smartphone im Public Wlan damit zurechtkommen würde, will ich gar nicht erst wissen.) Welche Mehrwerte bringt der 360-Grad-Rundgang für das einzelne Geschäft? Reicht ein gut gepflegter Google-My-Business-Eintrag nicht aus? (360-Grad-Ansichten gibt es auch dort zu hinterlegen.) Zahlt die Anwendung überhaupt auf das Suchmaschinenranking der einzelnen Betriebe ein? Lassen sich Angebote in gewohnter E-Commerce-Manier platzieren, das lokale Gutscheinsystem einbinden oder Events kommunizieren? Wie flexibel kann der Betreiber der Plattform auf Sortimentsänderungen oder einen neuen Ladenbau reagieren? etc.
Ich plädiere, und auch das habe ich in meinem Buch ausgeführt (Kap. 2.2, S. 110 ff.), für mehr Bedarfs- statt Machbarkeitsorientierung bei der Umsetzung lokaler Online-Plattformen. Dazu zählt es auch, dem einen oder anderen Smart-Hype zu widerstehen.
Smart City