Wenn die kleine Schwester des Handels erwachsen wird…
Die innerstädtische Gastronomie als Motor der Innenstadt und Ort der Begegnung
Schon vor der Corona-Krise hatte der innerstädtische Einzelhandel mit Umsatzrückgängen und Betriebsschließungen zu kämpfen. Die Forderung aller Fachkundigen nach der multifunktionalen Innenstadt als vielfältiger Ort der Kommunikation mit einer Nutzungsmischung aus Handel, Gastgewerbe, Kultur und Wohnen ruft die Frage hervor, ob die Gastronomie die ihr zugewiesene neue Rolle überhaupt gerecht werden kann. Aktuelle Meldungen über wegen Personalmangel zeitweise geschlossener Restaurants oder der aus gleichem Grunde erfolgte Verzicht auf die Nutzung der Außenterrasse lassen Zweifel aufkommen.
In Zahlen: Im Januar 2021 lag die Zahl der bundesweit Beschäftigten in der Gastronomie um 23,2 Prozent unter dem Wert vor dem Beginn der Pandemie (Januar 2020). Seitdem ist zwar ein Anstieg der Beschäftigten zu beobachten. Das Vor-Corona-Niveau wurde aber nicht wieder erreicht (Januar 2022: – 16,2 Prozent; November 2022: – 6,2 Prozent (Vergleich zu Januar 2020).
Dabei gehört die Gastronomie nach dem cima.monitor – Deutschlandstudie Innenstadt 2022 zu den nachgefragtesten Merkmalen einer attraktiven Innenstadt: Vier von fünf Interviewten sehen Cafés, Restaurants und Eisdielen als wichtige oder sehr wichtige Merkmale einer Innenstadt an; lediglich Imbisse und andere To-Go-Angebote werden weniger nachgefragt. Ein weiteres interessantes Ergebnis: Ein gutes außengastronomisches Angebot lockt vor allem die mittleren und älteren Jahrgänge: Fast 90 Prozent der 50- bis 64-Jährigen stuft dieses Angebot als sehr wichtig bzw. wichtig ein. Gleichzeitig entfällt bei der Frage nach Verbesserungen des gastronomischen Angebotes fast jeder vierte Vorschlag auf die Außengastronomie.
Ist es also reines Wunschdenken der Stadtentwicklung und des Citymarketings, wenn die Gastronomie zum scheinbaren Rettungsanker unserer Innenstädte hochgelobt wird?
Drei Beispiele zeigen, dass es „local heroes“ der Gastronomie sowohl in Metropolen und Mittelzentren als auch im ländlichen Raum gibt. Sie unterscheiden sich in der Konzeption, der Zielgruppenausrichtung und den Betreibenden. Aber in allen Fällen sind es Motoren für ein attraktives Zentrum.
Beispiel 1: Metropole Köln
Das Antoniterquartier – ein Ruheraum wenige Schritte von der 1a-Lage Schildergasse entfernt.
Man kennt es aus vielen Großstädten: In der 1a-Fußgängerzone finden sich die großen Handelsfilialisten. Wo aber nach oder zwischen den Einkäufen eine ruhige Tasse Kaffee trinken? Oft ist es nur der Backshop mit wenigen Stehtischen, der zum Verweilen einlädt.
Die Schildergasse in Köln liefert die Antwort, dass es auch anders geht: Unmittelbar neben dem von Renzo Piano entworfenen Weltstadthaus von Peek & Cloppenburg und der kleinen, fast bescheiden wirkenden Antoniterkirche, entstand an der Stelle des Gemeindezentrums ein kleiner und intimer, aber doch öffentlich zugänglicher Platz. Mehrere gastronomische Betriebe bieten die Gelegenheit zum Verweilen und zum Erholen abseits der hochfrequentierten Schildergasse. Neben der Systemgastronomie (Café Extrablatt) gibt es auch eine inhabergeführte Gastronomie. Das Beispiel zeigt: Wo Stadtplaner*innen und Architekturschaffende gute Stadträume erschaffen, sorgt die Gastronomie für Vielfalt und Lebendigkeit!
Beispiel 2: Mittelzentrum Vreden (NRW)
Der Marktplatz – vom Sorgenkind zum Highlight
Noch im Jahr 2020 bot der Marktplatz von Vreden, einem Mittelzentrum mit 23.000 Einwohner*innen im Münsterland, ein trauriges Bild. Gleich mehrere Leerstände und ein abbruchreifes Gebäude prägten das Bild. Als die cima im gleichen Jahr die Fortschreibung des kommunalen Einzelhandelskonzeptes vorlegte, lautet eine der fünf zentralen Handlungsempfehlungen zur Attraktivierung der Innenstadt: Fördert den Marktplatz als Mittelpunkt der Innenstadt – Rückt die Belebung des Platzes als Treffpunkt der Vredener Bevölkerung und als Gastronomiestandort in den Mittelpunkt.
Wenn heute der Marktplatz Anziehungspunkt für Einheimische und Auswärtige ist, bildeten unternehmerischer Mut und ein individuelles Konzept die Erfolgsfaktoren. Nicht mit einem traditionellen münsterländischen Speiserestaurant, sondern mit einer Mischung aus Café, Bistro und Vinothek eröffneten Bernd und Gerd Kämper im Oktober 2020 inmitten der Corona-Pandemie ihr Alfreds & Emils.
Dazu sagt Ilonka Bulten, Managerin, EMILS GASTRO GmbH & Co. KG:
„Von Anfang an war die Idee, für unsere Stadt einen Gastronomiebetrieb aufzubauen, der sich von bisherigen unterscheidet und ein zeitgemäßes Angebot für die sich ändernden Ansprüche unserer Zielgruppe bietet. Wichtig ist uns, mit frischen, nachhaltigen und möglichst regionalen Produkten zu arbeiten und dabei – wenn immer möglich – BIO-Produkte einzusetzen. Natürlich liegen dadurch unsere Preise eher im oberen Bereich. Heute wissen wir, dass dieser Ansatz richtig war. Die Auslastung und die große Zahl an Stammgästen bestätigen das. Unsere Gäste sind bereit mehr zu zahlen. Außerdem sprechen uns viele Gäste persönlich oder auf den sozialen Medien an, äußern sich lobend und bestärken uns darin, unseren gewählten Weg so weiterzugehen. Das wiederum ist ein toller Ansporn für das gesamte Team.“
Beispiel 3: Gemeinde Süderheistedt (Schleswig-Holstein)
Ort der Begegnung für 500 Bürger*innen
Im Jahr 2022 schloss in der Gemeinde Süderheistedt (500 Einwohnende, Kreis Dithmarschen) der letzte verbliebene Dorfgasthof. In vergleichbaren Fällen erloschen damit häufig auch viele Vereinsaktivitäten aufgrund fehlender Räumlichkeiten für Veranstaltungen und Treffen. Die Gemeinde verliert an Attraktivität für Einheimische und mögliche Neubürger*innen. In Süderheistedt will man dies nicht tatenlos hinnehmen. Unterstützt von der cima wurde das Konzept eines neuen Ortes der Begegnung mit einer Gastronomie als Kernnutzung entwickelt. In dem geplanten Neubau sind ebenfalls ein Veranstaltungsraum für die örtlichen Vereine und private Feiern, ein Selbstbedienungsangebot für regionale Produkte und ein Backshop sowie Räume für Bildungsangebote vorgesehen. Chance auf Umsetzung hat das Projekt nur durch das Engagement der Gemeinde, die die Investitionskosten und das Defizit aus dem laufenden Betrieb übernimmt und durch eine finanzielle Förderung des Landes Schleswig-Holstein. Die Gastronomie als Kernelement des neuen Treffpunkts in Süderheistedt soll privat betrieben werden. Das starke Engagement von Politik und Verwaltung sowie der Bürgerschaft sind in diesem Fall der Schlüssel zum Erfolg.
Drei völlig unterschiedliche Orte – aber auch drei Praxisbeispiele, die die Bedeutung der Gastronomie als Orte der Begegnung und Motor der Zentrenentwicklung aufzeigen.
Generell gilt:
- Es gibt gerade in der Gastronomie eine lebendige Gründerszene. Individuelle Konzepte, die aktuelle Freizeittrends ebenso aufgreifen wie regionale Traditionen und Besonderheiten der gewählten Lokalität berücksichtigen, werden zu Erfolgsfaktoren.
- Gute Stadtentwicklung bedeutet, urbane Räume mit nachgefragten Standorten für die (Außen-)Gastronomie zu schaffen.
- Die Kommunen können wichtige Fördererstellen der Gastronomie sein: Das Spektrum reicht von einer aktiven Stadtentwicklungspolitik über Stadt- und Citymarketingaktivitäten bis zum gezielten Einsatz von Förderprogrammen und eigenen Investitionen.
Gerade in Zeiten der Abkehr vom Selbstverständnis unserer Innenstädte als reine Shoppingorte und der Forderung nach urbanen Räumen wird das gastronomische Angebot einer Innenstadt zum Schlüsselfaktor. Die „Durststrecke“ der Corona-Pandemie ist für die Gastronomie noch nicht vorbei, weiterhin ist Durchhaltevermögen der Betriebe gefragt. Die Abwanderung von Mitarbeitenden in andere Berufe lässt sich auch nicht in einer Saison umkehren. Auffällig ist jedoch, dass sich nach einer Analyse der Wirtschaftsauskunftei Creditsafe unter den untersuchten 33.000 Gastronomiebetrieben in Deutschland im Jahr 2021 fast 1.000 Gründungen befanden. Obwohl die Zahlen der Geschäftsauflösungen und Insolvenzen, die der Neugründungen übersteigen und die Branche somit schrumpft, bleibt die Hoffnung auf einen zweiten Frühling der Branche.
Diesen Beitrag können Sie auch im cima.direkt-Magazin, Ausgabe 01 /2023, mit vielen weiteren interessanten Artikeln zum Schwerpunkt-Thema „Begegnungsort Innenstadt“ lesen. Schauen Sie doch einfach mal vorbei unter
FrequenzsteigerungInnenstadtPraxis & Umsetzung