Urbane Gebiete
Baurechtsnovelle 2017 mit neuem Reglement
Der Druck steigt auf dem Wohnungsmarkt. Vor allem in deutschen Großstädten und Ballungsräumen. Das Thema ist auf der politischen Agenda. Dabei offenbaren der Trend zur Urbanisierung, knapper werdende Flächenressourcen sowie das Ziel „bezahlbarer Wohnraum für alle“ den Bedarf an neuen Instrumenten zur Schaffung von Wohnraum. Nachhaltiger Umgang bei der Neuentwicklung von Flächen gilt dabei als Grundsatz des Bauplanungsrechts. Es sind insbesondere Revitalisierung und Konversion von Flächen, Nachverdichtung und andere Maßnahmen der Innenentwicklung zu nutzen. Mit der in der Leipzig-Charta 2007 formulierten Idee der europäischen Stadt kommt zudem der Nutzungsmischung und einer „urbanen Dichte“ eine größere Bedeutung zu, die so bisher im deutschen Baurecht, insbesondere der BauNVO, noch nicht vorgesehen war.
Kernstück: Urbane Gebiete
Die im Mai 2017 in Kraft getretene Baurechtsnovelle enthält verschiedene Aspekte. So soll den Kommunen nun u. a. weitere Unterstützung zur Genehmigung von Wohnraum in den Zentren an die Hand gegeben werden. Um die Planungsverfahren für den Wohnungsbau zeitlich zu straffen, darf (befristet bis 2019) das beschleunigte Verfahren auch für Bebauungspläne im Außenbereich mit Anschluss an im Zusammenhang bebaute Ortsteile angewandt werden. Dies bisher der Innenentwicklung vorbehaltene Privileg steht jedoch im Gegensatz zum Prinzip des sparsamen Umgangs mit der Ressource Boden.
Kernstück der 2017er-Baurechtsnovelle ist die Aufnahme einer weiteren Gebietskategorie in die Baunutzungsverordnung (BauNVO): „Urbane Gebiete (MU)“. Urbane Gebiete „dienen dem Wohnen sowie der Unterbringung von Gewerbebetrieben und sozialen, kulturellen und anderen Einrichtungen, die die Wohnnutzung nicht wesentlich stören“ (§ 6a Abs.1 BauNVO). Hierdurch soll u. a. eine Erhöhung des Wohnanteils in gemischt genutzten Gebieten in verdichteten Räumen ermöglicht werden. Die Einführung dieser Kategorie wurde im Vorfeld von Fachplanern, Wohnungs- und Wirtschaftsverbänden intensiv diskutiert und kritisiert. Die einen fürchten um die Erhaltung gesunder Lebensverhältnisse für die Wohnbevölkerung. Andere sehen die Möglichkeiten für weitere gewerbliche Nutzungen in den Innenstädten und Quartierszentren zu stark eingeschränkt.
Neu für Urbane Gebiete ist auch die Möglichkeit, im Rahmen eines Bebauungsplan-Verfahrens, in Teilen des Gebäudes (z. B. im Erdgeschoss an der Straßenseite, oberhalb eines bestimmten Geschosses) Wohnen auszuschließen bzw. ausschließlich zuzulassen. Darüber hinaus können ebenfalls bestimmte Anteile der zulässigen Geschossfläche für Wohnungen bzw. für gewerbliche Nutzungen festgeschrieben werden. Die Werte für Grundflächenzahl (0,8) und Geschossflächenzahl (3,0) im Urbanen Gebiet ordnen sich zwischen dem heutigen Misch- und Kerngebiet ein.
Folgen für Lärm und Dichte
Hinsichtlich der Bebauungsdichte liegt der Schwerpunkt in der Möglichkeit zu einer stärkeren Höhenentwicklung in verstädterten Gebieten. Eine Abkehr von der Funktionstrennung hin
zu Neben- und Miteinander unterschiedlicher Nutzungen birgt jedoch Konflikte. So wurde gleichzeitig die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) so angepasst, dass in Urbanen Gebieten künftig die am Tag zulässigen Immissionsrichtwerte gegenüber dem Mischgebiet auf 63 db(A) erhöht wurden. Die Nachtwerte bleiben identisch zum Mischgebiet bei 45 db(A). Dies ermöglicht ein stärkeres Zusammenrücken von Wohn- und Gewerbenutzung, kann allerdings auch zu einem „lärmgeplagteren“ Wohnumfeld führen.
Ergebnis ist ein Kompromiss, dessen Anwendung in der Praxis zeigen wird, ob wirklich Urbane Gebiete mit attraktiver Nutzungsmischung entwickelt werden. Oder ob nicht nur ein vorübergehendes Modewort für eine geänderte Form von Mischgebieten gefunden wurde.
GewerbeImmobilienwirtschaftStadtentwicklungKOMMENTAR // Kerstin Mahrenholz, cima
Die cima hat sich der Maxime „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“ verschrieben. Wir Berater treten für eine geordnete Stadtentwicklung ein. Spezielle Situationen und Herausforderungen in der Stadtentwicklung erfordern jedoch auch kreative und abgewogene Lösungen. Inwieweit die Baurechtsnovelle 2017 individuelle und im Sinne der europäischen Stadt zielführende Lösungen erleichtert, wird sich in unserer täglichen Beratungspraxis erweisen müssen.
mahrenholz@cima.de