Innenentwicklung – Mehr als nur Baulücken
Innenentwicklung zweifach, dreifach, vierfach … vor allem aber unerlässlich!
EINE BETRACHTUNG VON STADTPLANER UND PROJEKTLEITER MARTIN HELLRIEGEL, CIMA BERATUNG + MANAGEMENT GMBH
Sofern man allgemein den planerischen Grundsatz „Innen- vor Außenentwicklung“ aufruft, wird man fachlich und politisch, öffentlich und auch privat vermutlich schnell auf eine breite Zustimmung stoßen. Wenn es jedoch um die konkrete Umsetzung geht, gestaltet sich der Diskurs ungleich komplexer. Dabei kommt dem Flächenverbrauch und der Innenentwicklung eine Schlüsselrolle in der gesamten Nachhaltigkeitsdebatte zu. Und damit zahlreichen Wechselwirkungen für die künftige Stadt- und Gemeindeentwicklung.
Die bei der cima zu Grunde gelegte Definition von Innenentwicklung bezieht sich auf einen umfassenden Begriff der Innenentwicklung und reicht vom Dachausbau über die Beseitigung von Leerständen bzw. Unternutzungen, die Schließung von Baulücken bis hin zu Abriss und Neubau, Überbauung und Konversion. Innenentwicklung schließt ebenso planerisches Handeln auf allen Ebenen vom Verzicht der reinen Angebotsplanung bis zur konsequenteren raumordnerischen Steuerung, auch durch ökonomische Impulse, wie aktuell am Beispiel der Halbleiterindustrie zu beobachten, mit ein. Innenentwicklung betrifft kleine und größere Kommunen, wachsende und schrumpfende Regionen sowie alle Arten der baulichen Nutzung.
EINORDNUNG DES ASPEKTS INNENENTWICKLUNG
IN DIE LÄNGST GEFÜHRTE NACHHALTIGKEITSDEBATTE
Durch den Schutz von nicht beliebig multiplizierbaren Außenbereichen, besteht überhaupt erst die Möglichkeit, natürliche Ressourcen zu erhalten und den Zugang zu diesen zu ermöglichen. Gleichzeitig steigt die Chance, regionale Stoffkreisläufe zu etablieren und sinkt das Erfordernis auf Rohstoffe aus anderen Regionen der Welt zurückzugreifen.
Damit der Anteil des ökologischen Landbaus erhöht und konventionelle Landwirtschaft nachhaltiger gestaltet werden kann, braucht es ausreichend Flächen, auf denen dieser Transformationsprozess stattfinden kann. Und auch in der Landwirtschaft selbst, kann über so genanntes „vertical farming“ zur künftigen Versorgungssicherheit beigetragen werden. Die räumliche Nähe zu anfallender Abwärme in der Industrie kann hierbei ein Standortvorteil sein, auch an Standorten wo Wohnen und Arbeiten nicht miteinander vereinbar sind. Insofern gilt es hier ggf. unsere Standortplanung neu zu justieren.
Die Segregationsforschung zeigt, dass gerade verdichtete Räume in der Lage sind, geflüchteten Menschen und Zugewanderten einen Start im neuen Land zu bieten. Die Beweggründe sind häufig durch ökomische, soziale und kulturelle Faktoren geprägt. Die hier vielfach vorhandenen teuren Boden- und Wohnungspreise müssen durch eine soziale Dimension der Innenentwicklung begleitet werden. In Deutschland stehen die aktuell großen Herausforderungen in der Wohnraumbereitstellung und ein vielerorts sinkender Bestand an sozialem Wohnraum dem gegenüber. Dass es anders geht, zeigt bspw. der vorausschauende Instrumentenmix, der in unserem Nachbarland Österreich insbesondere in Wien erfolgreich zum Einsatz kommt.
Darüber hinaus steuert Deutschland unaufhaltsam auf zwei Jahrzehnte zu, die durch Alterungsprozesse im Zuge des demografischen Wandels geprägt sein werden. Gerade die zentralen Lagen bieten hierbei die Chance, generationengerechte Wohnformen anzubieten und die Selbstständigkeit im Alter bestmöglich zu erhalten.
Abseits des Schutzes von Entstehungsgebieten von Frischluft, sauberem Wasser und gesunder Böden, steht die Innenentwicklung gerade in verdichteten Räumen zunächst mal in einem scheinbaren Widerspruch zum Ziel gesunder Lebensbedingungen. Dass dies nicht so sein muss, zeigen kommunale Klimaschutzkonzepte, wie sie bspw. in Freiburg erarbeitet wurden. Durch eine geschickte Anordnung von Neubauten oder der Rücknahme an anderer Stelle können Wärmeinseln reduziert und ein gesundes Stadtklima erzeugt werden. Das Schwammstadt-Prinzip ist ein weiteres Beispiel, wie auf die neuen Herausforderungen des menschengemachten Klimawandels reagiert werden kann. Die Betrachtung der ökologischen Erfordernisse bei der Innenentwicklung ist hierbei unerlässlich.
In der Stadt wie auf dem Land gleichermaßen, die Chancen von Bildungsangeboten unterschiedlichster Art zu profitieren und auf Menschen zu treffen, die in der Lage sind dieses Wissen zu vermitteln, steigt in den zentralen Lagen. Entsprechende Angebote können durch Quartiersarbeit in der Innenentwicklung eine zusätzliche Beförderung erhalten und ein wichtiger integrativer Faktor werden, wie es bspw. „urban gardening“-Projekte verdeutlichen.
Im Sinne der Ziele der Energiewende sinkt durch eine konsequente Innenentwicklung die Flächenkonkurrenz im Außenbereich, bspw. auch gegenüber Nutzungen für regenerative Energien. Zudem zahlt Innenentwicklung auch auf das Thema Energieeffizienz ein. Das reicht von einem besseren Oberflächen-Volumen-Verhältnis im einzelnen Gebäude bis hin zur wirtschaftlicheren Umsetzung von Wärmenetzen.
Ferner zeigen Beispiele in unseren Gewerbegebieten wie die Lackiererei des BMW-Stammwerkes in München eindrucksvoll, dass neue Produktionsweisen mit einer viel größeren Ressourceneffizienz möglich sind. Die bereits laufenden Transformationsprozesse stellen hierbei Chancen dar, GreenTech-Projekte voranzutreiben, Stoffkreisläufe herzustellen sowie die Unabhängigkeit von Importen zu erhöhen und damit eine größere Krisenresilienz mitzudenken.
Sei es ein gut ausgelasteter Rufbus oder eine neue ÖPNV-Linie. In verdichteten Räumen steigt die Chance, Alternativen zum Individualverkehr wirtschaftlich anbieten zu können. Gerade in stark verdichteten Räumen ist das Mitdenken alternativer Mobilitätsformen hierbei zwingend erforderlich, um dem weiterhin hohen Flächenbedarf der KFZ-Mobilität entgegenzuwirken.
Innenentwicklung ist ein zentraler Baustein, um unsere Städte und Gemeinden im Sinne einer nachhaltigen und ressourcenschonenden Stadt- und Gemeindeentwicklung zu gestalten.
hellriegel@cima.deParallel zum Erhalt von Arten und Lebensräumen ist es ebenso im Innenbereich wichtig, nicht nur klimaangepasste, sondern auch lebenswerte, inklusive und partizipatorische Freiflächen mit in den Städtebau zu intergieren. Die Anforderungen an die Freiraumplanung und die Kontrolle der Umsetzung und Einhaltung der Maßnahmen werden im Zuge der Innenentwicklung zunehmen. Das Spektrum reicht von einer viel stärker von der klimatischen Wirkung der Bepflanzung gedachten Freiraumplanung, über die Barrierefreiheit bis hin zur Multifunktionalisierung von Flächen. Die Metropole Hamburg zeigt hier bspw. wie Retentionsflächen auch Treffpunkte sein können.
Neben dem Schutz der Ressource Boden, sollten die Art und Weise des Bauens sowie die eingesetzten Rohstoffe bei der Innenentwicklung mitbedacht werden. Der Bausektor ist nach wie vor der rohstoffintensivste Bereich unserer Volkswirtschaft. Innenentwicklungsbeispiele wie das Bürogebäude „Twin-Cubes“ in Düsseldorf zeigen, dass Innenentwicklung in kompletten Produktkreisläufen möglich ist. Durch die Dotierung an Rohstoffbörsen könnte hierbei sogar eine neue Form der kommunalen Wertschöpfung ins Auge gefasst werden.
HEMMNISSE VON KOMMUNEN
TROTZ DES POTENZIELLEN NUTZENS
Das sind zum einen externe Treiber bzw. Trends, die problemverschärfend in unterschiedliche Richtungen wirken. Beispiele sind der demografische Wandel, die Digitalisierung im Einzelhandel oder aber Flüchtlingsbewegungen, die ein schnelles Handeln erfordern.
Darüber hinaus fehlt es häufig an ausreichenden Datengrundlagen und Leitbildern, wodurch das Nebeneinander von Leerstand, Brachflächen und Unternutzung auf der einen Seite und Neuausweisungen am Ortsrand auf der anderen Weise entstehen.
In unseren DINs, Gesetzen und Normen gibt es kontinuierlich Weiterentwicklungserfordernisse, die an neue Belange der Innenentwicklung angepasst werden müssen. In den vergangenen Jahren hat sich allerdings bereits einiges getan, um sowohl den Ansatz der Innenentwicklung als auch die Gemeinwohlorientierung zu unterstützen. Genannt werden können hier exemplarisch das Baulandmobilisierungsgesetz in Kombination mit gemeindlichen Vorkaufsrechten, die Möglichkeit der Steuerung der Wohnraumversorgung durch sektorale Bebauungspläne, städtebauliche Verträge, Baulandbeschlüsse, Baugebote und viele mehr.
Dennoch besteht vielfach eine Diskrepanz zwischen Instrumentarium, Wissen und vor allem Umsetzungsmöglichkeiten. Vielen Kommunen fehlen die Ressourcen, um bspw. Baufonds ins Leben zu rufen. Zudem haben Maßnahmen der Verwaltungsrestrukturierung die personelle Ausstattung in den Ämtern stark reduziert. Ein Prozess, der gerade in den mittleren und kleineren Kommunen durch den Fachkräftemangel in den kommenden Jahren noch weiter verschärft werden wird. Dies erschwert die Möglichkeiten Innenentwicklung mit Nachdruck voranzubringen. Hinzu kommt insbesondere bei der Innenentwicklung der Umstand, dass sehr unterschiedliche Belange der lokalen Bevölkerung und der Akteure vor Ort zusammenkommen, die in konkreten Projekten starke Betroffenheiten auslösen können. Daher ist eine frühzeitige und intensive Beteiligung erforderlich.
Nur im Zusammenspiel mit den Eigentümer*innen, der lokalen Zivilgesellschaft und der Wirtschaft sowie der Bewohnerschaft können erfolgreich Impulse für die Innenentwicklung gesetzt werden. Es braucht also sowohl eine ortsspezifische und zugleich strategische Verständigung über die Ziele der Innenentwicklung, die Anwendung geeigneter planerischer Instrumente, formell wie auch informell, eine aufklärende und begleitende Kommunikation sowie notwendige personelle und finanzielle Ressourcen für eine Umsetzung.
Titelbild von Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)
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Mehr zum Thema Innenentwicklung, digitalen und analogen Beteiligungsformaten ebenso wie konkreten Beratungsangeboten in Form von Nutzungs- und Gestaltungskonzepten, Wettbewerbsverfahren, sektoralen Fachkonzepten oder etwa Innenstadtmanagements finden Sie im Web. Gern ist die cima auch in Ihrer Kommune beratend tätig.
cima.de/innenentwicklungDieser Beitrag erschien im cima.direkt Magazin 2/2023 mit dem Titel: Schlüsselrolle Innenentwicklung.
Als cima wollen wir Perspektiven aufzeigen, auf die drängenden Fragen einer zukunftsgerechten und nachhaltigen Stadt- und Regionalentwicklung. Mit dieser Magazinausgabe richten wir den inhaltlichen Fokus auf die städtebauliche Strategie der Innenentwicklung, da sie ein zentraler Baustein ist, um Städte und Gemeinden im Sinne einer nachhaltigen und ressourcenschonenden Entwicklung zu gestalten.
zur cima.direkt Ausgabe 2/2023